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3. Punkt: Wohnungsbau in der Weimarer Republik

Die Dreieckssiedlung an der Bismarckstraße, Goebenstraße und dem Westring

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Wohnhausgruppe mit städtischem Mietscharakter am Westring (ehem.Moltkestraße), Ecke Bismarckstraße. Blick vom Westen
© Foto: E. Wührl, Bochum (6/1999)

 

 

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Karte links: Stadt Herne (2003), Rechts: Siedlungsgrundriss 1924 mit Moltkestraße (seit 1970 Westring)

Wer Herne-Mitte über die Bundesstraße 51 von Norden kommend anfährt bzw. in die umgekehrte Richtung verlässt, kann den baulichen Blickfang an der Kreuzung Westring / Bismarckstraße nicht übersehen. Die Dreieckssiedlung, die Ende des letzten Jahrhunderts denkmalgerecht restauriert wurde, stellt ein Stück gebaute Sozialgeschichte dar.
Nicht nur nach dem 2. Weltkrieg gab es eine bedrückende Wohnungsnot, auch nach dem 1. Weltkrieg mussten sich die Stadtplaner und Stadtväter sowie die staatlichen Vertreter Gedanken machen, wie fehlender Wohnbestand schnellstmöglich beseitigt werden konnte. Es ist das Verdienst der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, preiswerten Mietwohnraum in ausreichender, aber auch qualitativer Form in der Weimarer Republik bereitgestellt zu haben. Die Wohnsiedlung Bismarckstraße / Westring (ehemals Moltkestraße) und Goebenstraße wurde zwischen 1922 und 1925 von der Bergmannssiedlung Herne GmbH mit 60 Wohnungen für gering verdienende Bergleute gebaut. Heute gehört das Wohnquartier der Treuhandsiedlung für Bergmannswohnungen (THS), die diese Siedlung zwischen 1997 und 1999 vorbildlich modernisierte und denkmalgerecht restaurierte.


Ursachen der Wohnungsnot nach dem I. Weltkrieg

Im Gegensatz zur Zeit nach dem II. Weltkrieg ist der Wohnungsmangel nach dem I. Weltkrieg nicht durch Kriegsschäden, sondern durch ein allgemeines Bauverbot der Obersten Heeresleitung von 1917 mitverursacht worden. Weitere Gründe lagen in der:

o Versorgung der heimkehrenden Frontsoldaten mit Wohnungen
o Versorgung der im Krieg getrauten Ehepaare zusätzlich zu solchen, die die Ehetrauung auf Grund des Krieges nachholen (Nachholbedarf).
o Baufälligkeit von (gründerzeitlichen) Häusern in der Weimarer Republik sowie in den rapide anschwellenden Wohnbaukosten, die schneller als die Lebenshaltungskosten anstiegen.

HARTMANN (S.93) schätzt den Wohnungsfehlbestand für das Reich auf ca. 1 Mio. Wohneinheiten (WE) mit einem zusätzlichen Wohnungsbedarf für Eheschließungen von ca. 90 Tsd. WE für 1919 und 1920.

Leidtragende waren vor allem die minderbemittelten Schichten, so dass sich der Staat hier zum Handeln herausgefordert sah.


Die Entwicklung der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft (nach GROßHANS, S.21ff.)

1. Gründungsphase (1848 - 1888) beginnt mit der Gründung der Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft im Jahr 1848.

2. Aufbauphase (1889 - 1918)

Die liberale Wirtschaftspolitk des Kaiserreiches überließ den Wohnungsmarkt dem freien Markt, d.h. die rund 1500 gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften erhielten keine staatliche Unterstützung. Allerdings konnten sie in finanzieller Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern rund 125.000 Wohnungen im Reich bauen, womit die Wohnungsbaumisere allerdings nicht behoben werden konnte.
Das 1889 erlassene "Reichsgenossenschaftsgesetz" beabsichtigte: "Eine vermehrte Herstellung kleiner gesunder und preiswerter Wohnungen für die minderbemittelten Klassen wird von den Gemeinden dadurch gefördert werden können, daß sie überall dort, wo ungünstige Wohnungsverhältnisse bestehen, den gemeinnützigen Baugenossenschaften die tunlichste Unterstützung angedeihen lassen." (HARTMANN S.93)
Die Behebung der Wohnungsnot war weitgehend Privatangelegenheit von Selbsthilfeorganisationen, von der Unternehmerschaft (Kolonien wie im Ruhrgebiet) und der Gartenstadtbewegung.

In der Aufbauphase erleben die gemeinnützigen Baugesellschaften einen wahren Gründungsboom:

1889
38 Genossenschaften
1918

1.506 Genossenschaften

(in: GROßHANS, S. 22)

 

3. Die Leistungsphase in der Weimarer Republik

Die Weimarer Republik (besonders die zweite Hälfte) gilt als die Leistungsphase der gemeinnützigen Baugenossenschaften ; daher wird sie auch gern die "bauende" Republik genannt. In dieser Zeit wird auch die Bergmannssiedlung GmbH gegründet die, als Bauherrin der obigen Siedlung auftritt. Staatliche Wohnungsbaupolitik (Preisbindung, Mieterschutz, Wohnraumbewirtschaftung, Wohnungsbauförderung, Gründung spezieller Unternehmen wie Heimstätten, Treuhandstellen für Bergarbeiterwohnungen, Finanzierungsinstitute) und die intensive Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden und freien Architekten bilden die Rahmenbedingungen für die Leistungsphase.

Gesamtleistung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen bis 1940:

2.704
Baugenossenschaften mit
535.688 Wohnungen
= 42,5%
517
Gesellschaften mbH mit
461.235 Wohnungen
= 36,6%
83
Aktiengesellschaften mit
229.473 Wohnungen
= 18,0%
53
Sonstige Wohnungsunternehmen mit
33.183 Wohnungen
= 2,7%
3.357
Wohnungsunternehmen

1.259.579 Wohnungen

 

(in: GROßHANS, S. 22)

 

Beschreibung der Dreieckssiedlung

 

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in: Herne 1928. S. 158

 

"Die Bergmannssiedlung Herne G.m.b.H. in Herne wurde am 20. August 1920 gegründet. Sie ist eine der 16 Tochtergesellschaften der Treuhandstellen für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk in Essen und hat den Zweck, als gemeinnützige Siedlungsgesellschaft auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmung vom 21. Januar 1920 für minderbemittelte Angehörige des Bergbaues gesunde und zweckmäßig eingerichtete Wohnungen zu errichten bzw. zu verwalten." (In: HERNE 1928, S.158)

Im Gegensatz zu freistehenden Arbeiterhäusern z.B. in der Siedlung Teutoburgia (s. Punkt 11 HERNE) wird in der Weimarer Republik die mehrgeschossige Randbebauung üblich, um so zu einer größeren Verdichtung und damit zu preiswerteren Wohneinheiten zu kommen. Die dreigeschossige Randbebauung an der Bismarck- , Goeben- und Moltkestraße (heute Westring) wurde zwischen 1922 und 1924 in der Krisenzeit der Inflation (1921-1923) und der französisch-belgischen Besetzung des Ruhrgebiets (1923-1925) von den Dortmunder Architekten Feldmann und Möller gebaut. Die Bebauung ist nicht durchgehend, sondern wird durch zwei Zugänge an der Bismarckstraße und zwei Zufahrten an der Goebenstraße unterbrochen. Das mit einer Blockbebauung verbundene massive Erscheinungsbild wird hier neben den baulichen Veränderungen durch überhöhte Risalite, durch zwei Laubengänge, durch unterschiedliche Fensterformen und Schmuckelemente im expressionistischen Stil aufgelockert. Der graue Kratzputz, der wohl aus Gründen der Sparsamkeit aus Abfallprodukten wie Schlacke und Eisenpartikeln besteht, kontrastiert zur übrigen mehrfarbigen Fassadengestaltung. Der für insgesamt 80 Wohneinheiten ausgelegte Gebäudekomplex (HERNE 1928 S. 161) ist mit Ausnahme seines expressiv dekorativen Fassadenschmucks der Tradition verhaftet (Walmdach, Arkaden, Baumaterialien). Die beiden weit getrennten Skulpturen, der Bergmann vor Ort und seine Frau mit zwei Kindern stehen traditionell für ganz verschiedene Lebenswelten, nämlich den Arbeitsplatz des Mannes und das häusliche Heim der Frau. Lediglich die geringe Zahl der Kinder lässt Rückschlüsse auf eine gewünscht emanzipatorische Familienplanung zu.

Monarchisch-konservativ ist auch die Namensgebung der drei Straßen: Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck (1815-1898), der maßgeblich an der Reichsgründung von 1871 beteiligt war, August Karl von Goeben (1816-1880), der als preußischer General im deutsch-französischen Krieg 1870/71 Divisionen befehligte, in denen Herner Soldaten kämpften, und Helmuth Graf von Moltke (1800-1891), der sich einen Namen als Militärtheoretiker und Generalstabchef in den Kriegen 1866 und 1870/71 machte.

 

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Fassadendetails an der Bismarckstraße
Fotos: E. Wührl (6/1999)

 

 

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Wohnungsgrundriss des Erd- und zweiten Obergeschosses in der Goebenstraße

 

Die Wohnungsbaugesellschaften haben sich verpflichtet "gesunde und zweckmäßig eingerichtete Wohnungen zu errichten" (Bergmannssiedlung GmbH). Der Wohnungsgrundriss belegt die Fortschrittlichkeit beim Wohnungskomfort. Im Gegensatz zu den Mietskasernen der Innenstadt, wo sich die Toilette auf der Zwischenetage befand, bzw. zu den Arbeiterkolonien mit den Toiletten außerhalb der Häuser, sind hier Toilette und Bad in der Wohnung. Auch ist ein Kinderzimmer vorhanden, wenngleich dies bei der damaligen großen Kinderzahl nicht den heutigen Raumansprüchen entspricht. Für die konservative Bergarbeiterfamilie ist die große Wohnküche kennzeichnend. Die beginnende Berufstätigkeit der Frau in der Weimarer Republik, auf die die Architekten mit der kleinen U-förmigen Labor- oder Arbeitsküche ("Frankfurter Küche") als Neuerung reagierten, ist hier noch kein Thema. Mangelnde Berufstätigkeit der Bergmannsfrau und fehlende Wirtschaftsgärten im Innenhof lassen darauf schließen, dass entgegen der Zielsetzung der Wohnungsbaugenossenschaft, Wohnungen für minderbemittelte Angehörige des Bergbaues zu schaffen, eher kapitalkräftigere Mieter aus der unteren Mittelschicht hier gewohnt haben (z.B. Verwaltungsangestellte oder Facharbeiter).


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Begrünter Innenhof mit Kinderspielplätzen und 11 Garagen. Über die Goebenstraße gibt es zwei Zufahrten zu dem Innenhof, aber nur die linke erlaubt die Zufahrt zu den Garagen.

 

Welche Wohnqualität bietet die Siedlung heute?
Die hohe Autofrequenz auf dem Westring und die damit verbundene Abgas- und Lärmbelästigung lassen eine geringe Attraktivität des Wohnquartiers vermuten. Tatsächlich hat die Siedlung nur einen geringen Leerstand. Attraktiv ist gewiss die Lage zur Innenstadt, die fußläufig erreicht werden kann. Auch kommt die Größe der Wohnungen sowie ihr preisgünstiger Mietzins den wachsenden Einzelhaushalten entgegen: Die Wohnungen an der Bismarckstraße bzw. am Westring haben ca. 70 qm und an der Goebenstraße zwischen 40 qm bis 70 qm. Die nach außen abgeschirmte Hofseite bietet einen Kinderspielplatz, eine ausreichend grüne Ruhezone und auch eine kontrollierte Halböffentlichkeit bei funktionierender Nachbarschaftshilfe. Nicht zuletzt vermitteln die geringe Geschosszahl und die dekorative Fassadengestaltung der drei Gebäude im Gegensatz zu den Wohnsilos der 1970er Jahre Überschaubarkeit, Geborgenheit und Individualität. Die denkmalgerechte Modernisierung und Restaurierung des Wohnquartiers, die in Zusammenarbeit mit der Stadt Herne von der Treuhandsiedlung für Bergmannswohnungen (THS) 1997-1999 durchgeführt wurde, hat diesem sozialhistorischen und städtebaulichen Dokument der frühen Weimarer Republik auch seine wirtschaftliche Grundlage gesichert.


Literaturnachweis:

Großhans, Hartmut: Die Erhaltung, Erneuerung und Entwicklung der Siedlungen der 20er Jahre. In Siedlungen der 20er Jahre...S. 19-38

Hartmann, Kristiana: Siedlungen der 20er Jahre. Ein Kommentar. In: Siedlungen der 20er Jahre...S.91-98

Herne in Westf., bearbeitet von Heinrich Knöll. 2. Aufl. Berlin 1928

Siedlungen der 20er Jahre; Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Band 28, hg. v. Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. Bonn 1991 (Nachdruck)

Bearbeitet von

Engelbert Wührl

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